Sakramente für Jugendliche anfassbar und erlebbar machen!

von Jakob Kamin
Bilder: GleisX

Eine notwendige Vorbemerkung

Am Beginn unserer Überlegungen, die den Titel dieses Textes ausfalten und konkretisieren sollen, sei eine wichtige Vorbemerkung gestattet.     
Die nachfolgenden Zeilen geben unter anderem einen Einblick in unseren Arbeitsalltag und die Strategie, mit der wir versuchen an GleisX in Gelsenkirchen zu arbeiten. Letzteres speist sich aus einem fortlaufendem Prozess, der zum einen aus wissenschaftlichen Studien, theologischer Reflexion und insbesondere aus dem Kontakt zu unserer Zielgruppe besteht und in regelmäßigen Abständen einer kritischen Prüfung unterzogen wird.

Zur Lage des sakramentalen Lebens in unserer Kirche

Schaut man auf die jährlich von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Statistiken, so kennen die Zahlen auch beim Empfang der Sakramente meistens nur eine Richtung: abwärts. Die Gründe dafür sind bereits in verschiedenen Zusammenhängen vielfältig und breit diskutiert worden. Dennoch sei an dieser Stelle auf zwei Aspekte hingewiesen, die mir in der Zeit als Theologiestudent immer wieder als wichtige Erkenntnisse begegnet sind:     

  1. Die katholische Kirche lebt in einer sakramentalen Verengung, die sich in der starken Fokussierung auf die sieben Sakramente wiederspiegelt, die geschichtlich gewachsen und keinesfalls allesamt fraglos aus der biblischen Tradition und dem Leben Jesu abzuleiten sind.    
  2. Wenn wir zudem in unserer Liturgie und der Sakramentenkatechese vor allem ein „dreimal heilig“ sprechen, so entrücken wir das sakramentale Leben in einen Bereich der nicht mehr mit unserem Alltag in Berührung kommt und somit auch an Wichtigkeit und Plausibilität für die eigene Lebensgestaltung verliert.

Ein weiterer wichtiger Punkt scheint an dieser Stelle ebenfalls erwähnenswert, nämlich die schlichte Tatsache, dass die vergangenen Jahre der Corona-Pandemie zu einer zusätzlichen Entwöhnung zwischen den Gläubigen und dem kirchlichen Leben geführt hat.   
Was aber gilt es nun zu tun, wenn man mehr als ein abgekoppeltes Sonntags- bzw. Feiertagsritual erhalten möchte, dessen Entzweiung mit dem alltäglichen Leben der Gläubigen oftmals nicht mal als problematisch empfunden wird?

Der Sakramentenbegriff: Auf der Suche nach Verstehbarkeit in einer säkularisierten Gesellschaft

Ein Schritt zur Beantwortung dieser Frage könnte es sein, sich zu vergewissern, was ein Sakrament überhaupt ist und welcher Fokus sich daraus für die Arbeit als Seelsorger*in, Katechet*in und Religionslehrer*in mit ihren je eigenen Profilen und Schwerpunkten entwickeln kann.

Der heilige Bischof und Kirchenlehrer Augustinus prägte zu seiner Zeit den Gedanken, dass es sich bei einem Sakrament und dem damit verbundenen Ritus um ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit handelt.                          
Folgen wir dieser Aussage, so könnten wir annehmen, dass Menschen jeglichen Alters durch den Vollzug dieser Riten eine Idee davon gewinnen, dass Gott mit ihnen in einer lebendigen Beziehung steht, dass er konkrete Wirklichkeit ist, die uns spürbar Sinn, Gnade und Orientierung zukommen lässt.

Anhand der stetig sinkenden Teilnahme an der Spendung der Sakramente lässt sich jedoch deutlich ablesen, dass die Menschen in unserem Land dies oft nicht mehr tun. Diese Tatsache führt dazu, dass wir unsere priorisierte Herangehensweise nun zusätzlich auf eine moderne Übersetzung der sieben Sakramente konzentrieren müssten. Wir Zugänge vereinfachen und die Methodik sowie die Rahmenbedingungen verändern müssten, um letztlich die kirchliche Tradition und die uns bekannten Strukturen für eine weitere Generation zu erhalten.     
Ein anderer und meiner Meinung nach deutlich zielführenderer Weg bestände jedoch darin, dass wir unsere Ressourcen darauf verwenden den Menschen und sein*ihr konkretes Leben in den Blick zu nehmen. Dass wir ihm*ihr Räume öffnen, in denen er*sie personale Angebote findet, mit dessen Hilfe er*sie trotz der Komplexität seines*ihres Alltags zu sich selbst findet und die unsichtbare Wirklichkeit von Gottes Liebe der Gegenwart in allen Lebensbereichen neu entdecken kann.

Und nun konkret anhand unserer Arbeit in GleisX: 

Lebensweltorientierte Begleiter*innen sein

Als jugendpastoraler Handlungsort im Bistum Essen haben wir in „GleisX – Kirche für junge Menschen“ eine klar umrissene Zielgruppe, die zum einen Jugendliche in der Firmvorbereitung (ca. 16 Jahre), zum anderen hauptsächlich jedoch junge Erwachsene in der Altersspanne zwischen 18-35 Jahren umfasst. Aus Gründen der Übersichtlichkeit, soll der Fokus im Folgenden insbesondere auf der zuletzt genannten Zielgruppe liegen.             
Aufgrund strategischer Entscheidungen steht in GleisX – neben der erwähnten Firmvorbereitung für Jugendliche – insbesondere die Eucharistiefeier im Fokus, die wir an jedem Sonntag in der GleisZeit feiern. In Ausnahmefällen kommt es jedoch auch vor, dass Menschen, die mit GleisX eine besondere Verbindung haben an diesem Ort auch heiraten.           
Beim Blick auf die Konzepte der Sakramentenpastoral in unseren Bistümern und Gemeinden, - so auch bei uns, - stößt man nicht selten auf Sätze, die mit den Worten: „Angepasst an die Lebenswelt der Jugendlichen“, oder „Reagierend auf“ beginnen.

Was jedoch macht die Lebenswelt der jungen Erwachsenen aus?

Junge Erwachsene im Alter von 18-35 Jahren befinden sich zumeist in der Berufsausbildung, studieren oder beginnen ihren ersten Beruf. Sie sind familiär ungebunden, sowohl mit Blick auf ihre Herkunftsfamilie, als auch den Aufbau einer eigenen Familie. Sie befinden sich in unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Partner*innen, Freund*innen und der Familie und sind lokal ungebunden, was sich durch eine hohe Flexibilität und Mobilität, wechselnden Wohnorten oder dem Bezug eines eigenen Wohnsitzes zeigt. In finanzieller Hinsicht kann sich in diesen Jahren durch eigenes, wenn auch geringes Einkommen, eine finanzielle Unabhängigkeit einstellen.
All dies, und auch die unbekannten Aspekte der persönlichen Biographie, bildet das sogenannte „Streckennetz des Lebens“, indem die jeweilige Person unterwegs ist. In diesem verzweigten Netz will GleisX ein Ort sein, an dem ein bewusstes Anhalten stattfinden kann, der zur Ruhe einlädt und ein bewusstes Nachdenken über das eigene Leben ermöglichen soll. Dabei orientieren wir uns am Bild eines Bahnhofes, an dem man auf seiner Reise aussteigen kann, um den Zug und damit die Richtung zu wechseln und die verschiedensten Angebote in der Bahnhofshalle nach seinen Bedürfnissen zu nutzen. Entscheidend dabei ist, dass jede*r weiterfahren darf und soll, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Dazu steht vor allem der Raum von GleisX zur Verfügung. Die Gestaltung, die durch Licht und Musik erzeugte besondere Gottesdienstatmosphäre sowie die unterschiedlichen Orte im Kirchraum sollen dazu einladen, mit sich und den eigenen Lebensfragen in Kontakt zu treten. Eine solche Form des Nachdenkens und der Selbstreflexion funktioniert jedoch nicht ohne Hilfestellungen von außen. Junge Menschen, die GleisX besuchen, bekommen neben den Sinneswahrnehmungen durch den Raum auch durch die Mitarbeiter*innen Impulse für ihre je individuellen Lebensthemen und –fragen. Das entscheidende Stichwort ist an dieser Stelle das „personale Angebot“, das sich insbesondere durch Zeit und Nähe auszeichnet. Dies alles geschieht im Bewusstsein dafür, dass das Leben und der Glaube aufs Engste miteinander verbunden sind. Es gibt kein Leben und daneben den Glauben. Der christliche Glaube durchdringt das Leben und umgekehrt.
Über den lebensweltorientierten Ansatz, der vor allen weiteren Schritten steht, erhalten die jungen Menschen automatisch auch Impulse für ihren persönlichen Glaubensweg mit Gott.

Es gilt somit Räume zu schaffen, in denen die Verknüpfung zwischen Leben und Glauben spürbar wird, in dem junge Menschen ihren eigenen und den Glauben und die Sichtweisen der katholischen Kirche reflektieren können. Darüber hinaus können hier weitere persönliche wie gemeinschaftliche Glaubenserfahrungen ermöglicht werden. In diesen Raum stellen wir, die Mitarbeiter*innen von GleisX, uns als Personen hinein, mit unserem Glauben, unserer Suche unseren Fragen und Zweifeln.
(Der Vollständigkeit halber sei erwähnte, dass mit Raum auch der digitale Raum gemeint ist, der durch die Corona-Pandemie auch am GleisX eine größere Bedeutung bekommen hat. Durch Online-Impulse während dieser Zeit hat sich die Reichweite der Kontakte erhöht und wir bemühen uns auch weiterhin Angebote zu gestalten, die dieser Gruppe von Menschen eine Hilfe für ihren Alltag sein kann.) Die dabei entstehende Begegnung soll dazu ermutigen, selbst ein christliches Leben zu führen. Dieses eigene Sein im Raum wird vor allem dadurch konkret, dass wir in der Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift die jeweiligen Gottesdienste planen, in denen auch unsere eigenen Lebensthemen und -fragen aufscheinen. Somit kann es uns gelingen, authentische Glaubenszeug*innen zu sein, mit denen andere Menschen bereit sind ein Stück des Weges zu fahren.

Entgrenzung der sakramentalen Welt: Mehr als du glaubst!

Was bedeuteten die bisher angestellten Überlegungen nun insgesamt?        
Es wurde festgestellt, dass die Teilnahme an der Feier der Sakramente schwindet und diese oft nur noch als ein vom Alltag entkoppeltes Sonntags- oder Feiertagsritual wahrgenommen werden. Das Bewusstsein dafür, dass Sakramente sichtbare Zeichen für Gottes Anwesenheit und Handeln in unserem Leben ist, ist entsprechend gleichsam schwindend.             
Ein radikal lebensweltorientierter Ansatz und das eigene Selbstverständnis als Begleiter*innen auf Zeit, die sich zunächst als Menschen mit ihrem eigenen Suchen, Fragen und Zweifeln in einen Raum stellen und in einem zweiten Schritt als Glaubenszeug*innen erlebbar werden, kann jungen Menschen dabei helfen, die sichtbaren Zeichen für Gottes Gegenwart im eigenen Leben neu zu entdecken und zu deuten. So kann erlebbar werden, dass nicht nur im Teilen von einem Stück Brot und einem Becher Wein der Höhepunkt des kirchlichen Lebens erreicht wird, sondern, dass überall dort, wo geliebt, gelebt, gelacht und getrauert wird, ein sichtbares Zeichen der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes vorhanden ist.         
Auf diesem Weg gilt es also den Blick zu erweitern und nicht allein dogmatisch auf die uns vorgegebenen sieben Sakramente zu schauen. Erst wenn in uns ein grundlegendes Gespür für die Sakramentalität sämtlicher Lebensbezüge vorherrscht, können wir auch den Weg zurück zu einem lebendigen Vollzug der sakramentalen Tradition unserer Kirche finden und diese in einem größeren Zusammenhang sehen.

Zum Autor:

Jakob Kamin hat Theologie an der katholischen Fakultät in Münster studiert. Vor Beginn seines Studiums hat er einen 19-monatigen Freiwilligendienst in Taizé absolviert. Nach einer ersten Anstellung als Sozialarbeit bei der Alexianer Misericordia GmbH, ist er seit dem 1.Oktober als Jugendseelsorger an GleisX. Darüber hinaus ist er außerdem mit einer halben Stelle als Geistlicher Leiter des KjG-Diözesanverbands Essen angestellt.

Hier gleich bei GleisX vorbeischauen >>>